Infos zum Buch und zum Lernmaterial

von Krystyna Strozyk

 

Zum Lernsetting

Einem eher 'offen' angelegten Unterricht, der den Leitprinzipien eines selbstentdeckenden und individuell gesteuerten Lernens folgt, sind bei einer Lerngruppe mit DaZ-Kindern eindeutige Grenzen gesetzt. Die mündliche und die schriftliche Sprachaneignung erfolgen in allen Lernbereichen meistens über eine systematische und direkte Unterweisung.

Die Kinder benötigen Sprachvorbilder, kommunikative angelegte Situationen und systematisch gesteuerte Sprechakte sowohl im Mündlichen als auch im Schriftlichen.

Lernbereich Hören

Kinder mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ) müssen für das deutsche Lautsystem sensibilisiert werden. Was nicht gehört wird, kann auch nicht gesprochen werden. Darum hat das Hören am Anfang des Spracherwerbs einen besonders hohen Stellenwert. Bewusstes, verstehendes Hören ist eine Sprachleistung auf rezeptiver Ebene, die zunächst das Dekodieren des gesprochenen Wortes, Satzes oder Textes auf der Lautebene meint. Dabei wird der dekodierte Inhalt gleichzeitig auf der Bedeutungs- und Sinnebene verstanden. Dieser Rezeptionsprozess gleicht dem Lesevorgang. Beim Lesen geht es zwar primär um die Dekodierung graphischer Zeichen, doch hinter diesen Zeichen stehen Laute, die in ihrer Verschlüsselung erkannt werden müssen. Auch Satzmelodie und Intonation des Deutschen sind bedeutungstragend und müssen akustisch erfasst werden.

Nachdem die Kinder das Bilderbuch in ihrer Erstsprache oder/und auf Deutsch gehört oder erlesen haben, erfolgt ein Training des Hörverstehens auf Deutsch über die angebotenen Hörübungen, die jeweils am Ende eines Buches oder über den Button „für Kinder“ zu finden sind. Bei den Höraufgaben geht es sowohl um das inhaltsorientierte und authentische Hörverstehen als auch um das detailorientierte Hören. Dies sind zwei Varianten des bewussten Hörens.

Das Hörtraining zum inhaltsorientierten und authentischen Hören bezieht sich auf authentische und kommunikative Situationen. Die Kinder fokussieren in diesem Fall die Erzählinhalte des jeweiligen digitalen Bilderbuches.

Die Komplexität der Fragestellung richtet sich nach dem Sprachentwicklungsstand (Satzbildung, Wortschatz) des Kindes. So lassen sich beispielsweise Inhalte abfragen, die von den Kindern hinsichtlich ihrer Stimmigkeit überprüft werden müssen (vgl. Übung: Richtig oder Falsch).

Das detailorientierte analytische Hören bezieht sich auf das zielgerichtete Hören von bestimmten sprachlichen Elementen, die unter sprachuntersuchenden analytischen Aspekten erfasst werden sollen. Dies setzt die Fähigkeit des Kindes voraus, sich von dem kommunikativen Aspekt der Sprache zu lösen und sie auf der abstrakten Ebene zu betrachten. So wird die Sprache selbst zum Lerngegenstand (vgl. Piepho in Rösch 2003, S. 109).

Solche zielgerichteten Hörleistungen muss ein DaZ lernendes Kind sowohl bei der Aneignung des deutschen Phonem-Graphem-Systems erbringen als auch bei der Erfassung relevanter grammatischer Aspekte wie z. B. Verben in ihren Konjugationsformen, die sich nur durch minimale Lautabweichungen voneinander unterscheiden (‚gehen, gehe, geht, gehst‘). Kinder, die Deutsch lernen, müssen u. a. ihre auditive Aufmerksamkeit für die drei Artikelbildungen sensibilisieren. Bei dem unbestimmten Artikel ‚ein/eine‘ zählen ebenfalls minimale Lautunterschiede bei der Bestimmung des Geschlechts. Es wird deutlich, wie wichtig die präzise auditive Wahrnehmung für den Erwerb des Lautsystems ist und wie bedeutsam die Sensibilisierung und Motivation für eine differenzierte Lautwahrnehmung (vgl. Übungen: „Wörter heraushören“, „Wie heißt das Wort richtig?“)

 

Lernbereich Sprechen und Erzählen

Der Förderbereich des Sprechens und Erzählens ist in der systematischen Sprachförderung ebenso zentral und bedeutsam wie das Hören. Aus der Perspektive der Kinder ergibt sich hier keine Trennung. Hören und Sprechen bedingen sich gegenseitig. Dennoch sollte die Lehrkraft wissen, welchen Förderbereich sie gerade fokussiert und definieren, wo ein Lernzuwachs erfolgen soll. Die Sprech- und Erzählinhalte leiten sich ebenfalls aus digitalen Bilderbüchern ab. Auch hier muss ein inhaltlich gesicherter und geschlossener Kontext als Grundlage für jede Lernsituation vorausgesetzt werden. Die Kinder müssen wissen, in welchen semantischen Zusammenhängen sie sich gedanklich und sprachlich bewegen.

Grundsätzlich sollten die Sprech- und Erzählakte in einer ausgewogenen Balance von gesteuerten und ungesteuerten Gesprächssituationen stehen. Es ist einerseits wichtig, den Kindern Erzählanlässe zu bieten, in denen sie sich spontan erproben dürfen, auch um ihrem Mitteilungsbedürfnis gerecht zu werden; andererseits benötigen sie Sprech- und Erzählhilfen, um Inhalte verständlich transportieren zu können.

Auch hier gilt das sprachdidaktische Leitprinzip, sowohl norm- als auch kindgerecht zu agieren. In dem folgenden Beispiel werden Kindern konstante Redemittel bzw. Sprechmuster angeboten, die dem Inhalt der Geschichte „Moritz malt ein Strichmännchen entnommen wurden: Das Strichmännchen will (möchte, wünscht, verlangt, befiehlt), dass Moritz einen/eine/ein … malt.

Sie lassen sich für eine Anschlusskommunikation rund um das Buch oder für eine mündliche Nacherzählung nutzen. Sie helfen den Kindern, selbst sprachlich produktiv zu werden und den Erzählinhalt über Wiederholung semantisch abzusichern.

Darüber können Redemittel und Satzmuster, die sich später auf andere Erzähl- oder Sprechsituationen übertragen lassen, trainiert werden. Hier dient das Prinzip der Wiederholung und Automatisierung dem Einschleifen von Satz- bzw. Redemustern.

 

Lernbereich Lesen

Die Ausbildung von Lesefähigkeiten und Lesemotivation sind eng mit den vorschulischen und den schulischen Literacy-Erfahrungen, also den primären Schriftbegegnungen eines Kindes verbunden (vgl. Kap. 6.3 ‚Literacy‘). Dies gilt selbstverständlich auch für Kinder, die Deutsch als Zweitsprache erwerben.

Sprache erfährt im Anfangsunterricht einen grundlegend neuen Stellenwert für Kinder. Sie ist nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern wird zum Gegenstand metasprachlicher Betrachtungen. Bei der Alphabetisierung greifen Prozesse des Kodierens (Schreiben) und Prozesse des Dekodierens (Lesen) grundsätzlich ineinander. Das phonologische Bewusstsein ist die Schlüsselkompetenz für beide Teilleistungen.

Um zu einer sicheren Buchstaben-Laut-Zuordnung zu gelangen, steht für Kinder mit DaZ vor allem auf der technischen Ebene das Abhören und Erfassen der Laute im Fokus, da sie auf ein neues Lautsystem treffen, wofür sie erst noch sensibilisiert werden müssen. Für sie gilt in besonderem Maße die Schulung des Hörverstehens, insbesondere die des detailorientierten analytischen Hörens, bei der lautliche Aspekte in den Fokus gestellt werden (s.o.).

Eine weitere große Hürde für Kinder mit DaZ liegt vor allem im Bereich der Semantik auf der Wort-, Satz- und Textebene. Werden die lesetechnischen Fähigkeiten zunehmend beherrscht, richten Leseanfänger ihren Fokus stärker auf die inhaltliche Bedeutungsebene. Lesetechnische Leistungen wie das Synthetisieren und Nutzen von Verarbeitungseinheiten werden zunehmend automatisiert, sodass sich die Aufmerksamkeit gezielt auf die Wortbedeutungsebene richten kann. Der Leser bildet während des Lesevorgangs eine Hypothese im Hinblick auf die Wortbedeutung. Die Hypothese wird entweder bestätigt, verworfen oder modifiziert. 

Die Lese- bzw. Sinnerwartung macht die Hypothesenbildung überhaupt erst möglich. Leseanfänger produzieren während des Lesevorgangs in der Regel eine Vorform des zu erlesenden Wortes. Die Laute werden gerade beim Synthetisierungsvorgang in die Länge gezogen und ergeben vom Klang her noch nicht das gemeinte Wort. Das Wort ‚P-a-l-m-e‘ ist die Vorform für das gesprochene Wort ‚Palme‘. Hier muss das Kind die erlesene Vorform mit dem im inneren Lexikon abgespeicherten Originalwort abgleichen. Erst wenn das Wort erkannt und dann auch noch in einen sinnvollen Kontext gestellt wird, war der Leseversuch erfolgreich und die Sinnhaftigkeit bzw. der sprachliche Anwendungsbezug wurden hergestellt. Dieser eigenaktive Konstruktionsprozess der Wortbedeutung steht für die inhaltliche und kommunikative Dimension des Lesens.

Wenn beide Teilleistungen, also lesetechnische Aspekte und die inhaltliche Erschließung, ineinandergreifen, kann man überhaupt erst von Lesen sprechen. Dieser Sachverhalt macht deutlich, dass Kinder mit DaZ einen semantisch erschlossenen Wortschatz in Lesetexten benötigen, um Sinnerwartungen und Hypothesen in Bezug auf Wort-, Satz- und Textinhalte aufstellen zu können.

Über die Rezeption des digitalen Bilderbuches in der Erstsprache und die Hörübungen wurde das textimmanente Wort- und Sprachmaterial bereits semantisch weitgehend gesichert und Bestandteil des „inneren Lexikons“.

In den digitalen Bilderbüchern dieser Seite wird der gesamte Text in der Originalfassung zum selbstständigen Erlesen angeboten. Den Textabschnitten ist in der Regel ein Bild vorgeschaltet, um das Textverstehen zu unterstützen. Die Audiofunktion ermöglicht ein lautes Mitlesen kurzer Abschnitte i.S. eines Partnerlesens.

Die Leseübungen im Downloadbereich, die sich im Anspruchsniveau (Wort-, Satz- und Textebene) unterscheiden, können mit einer klaren Leseerwartung verknüpft werden. Es werden sowohl lesetechnische Fertigkeiten als auch die Fähigkeit der Sinnkonstruktion trainiert. Alle Leseaufgaben stehen im thematischen Kontext der jeweiligen Geschichte und erleichtern den Kindern ein Lesesinnverstehen und die Hypothesenbildung, da ihnen der inhaltliche und sprachliche Rahmen bereits vertraut ist.

 

Lernbereich Schreiben

Auch hier gilt es, in einem thematisch eindeutigen und in einem sprachlich gesicherten Kontext Schreibangebote zu machen. Neben den Lautunterschieden zwischen der Erst- und der Zweitsprache stoßen DaZ-Kinder zusätzlich auf das Problem semantischer Unsicherheiten bei den Anlautwörtern auf der Anlauttabelle. Daher ist es absolut notwendig, den Bild-Wort-Bezug auf semantischer und lautlicher Ebene zu klären und durch viele sich wiederholende Übungen zu sichern.  Die Kinder müssen befähigt werden, mit dem Anlautbild auch wirklich den gemeinten Anlaut zu assoziieren. Daher muss das Anlautwort für die Kinder im inneren Wortschatzlexikon gespeichert, geläufig und sofort abrufbar sein.

Die L-B-Zuordnung und die Fähigkeit des Synthetisierens müssen als Lernvoraussetzungen bereits vorhanden sein, um die Schreibangebote rund um unsere digitalen Bilderbücher erfolgreich nutzen zu können.

Auf der Grundlage des bekannten Sprach- und Wortmaterials der jeweiligen Texte lassen sich kleine Schreibanlässe kreieren, die häufig den Prinzipien des generativen Schreibens folgen. Hierbei produzieren Kinder auf der Basis vorgegebener Satzmuster von meist lyrischen Schriften eigene Texte. Der vorgegebene Text wird durch das Austauschen einzelner Elemente so variiert, dass ein neuer Text entstehen kann. Dabei bleiben die syntaktischen Strukturen mit ihren regelhaften grammatischen Besonderheiten jedoch bestehen. Kinder produzieren auf dieser Grundlage sprachlich korrekte Texte, die aber eine inhaltlich individuelle Note haben. Darüber hinaus ermöglicht das „generative Schreiben (...) eine streng textbezogene Kreativität und verbindet so die grammatische Übung mit der Textanalyse und Textproduktion“ (Belke 2012, S. 151). Der Motivationsfaktor für die Kinder liegt in dem Reiz der Reproduktion, Wiederholung und Variation vorgegebener Sprachmuster, wie sie auch bei Kindern im Vorschulalter beim Erstspracherwerb zu beobachten sind (vgl. mulingula-praxis.de/buch/gustav-klimperbein/fuer-lehrkraefte/lernmaterialien).

Eine weitere Form, Kinder an konzeptionelle Schriftlichkeit heranzuführen, besteht in der Auseinandersetzung mit dem literarischen Text. Sogenannte Lesebegleithefte (s. mulingula-praxis.de/fileadmin/user_upload/kein_wunder_dass_ich_nicht_wachse/downloads/Lesebegleitheft.pdf),  die primär der Texterschließung dienen, werfen Fragen, Impulse und Ideen auf, die schriftlich beantwortet werden müssen. Dies geschieht häufig in Kombination mit Malaufgaben, was den reinen Schreibakt ergänzt und entlastet.

Bei der Rezeption von Bilderbuchtexten erwerben Kinder grundsätzlich ein implizites Wissen über die Konstruktionsprinzipien konzeptioneller Schriftlichkeit.

Dennoch müssen auch Kinder mit DaZ auf sprachproduktiver Ebene gezielt an die Textproduktion herangeführt werden, ohne dass sie sich gleich überfordert fühlen und resignieren. Dies gilt vor allem für das Verfassen von Erzähltexten, die neben dem themenspezifischen und sprachsystematischen Wissen auch eine narrative Kompetenz erfordern (s. Lernbereich Sprechen und Erzählen).

Etwas fortgeschrittene Schreiber können mit Hilfe von Bildimpulsen eigene Nacherzählungen oder individuelle Textideen planen und aufschreiben. Konkrete Fragen, die sich auf den Inhalt der Geschichte beziehen, regen zu ersten schriftlichen Auseinandersetzungen mit Texten an.

Eine sorgfältige Planung längerer Erzähltexte erfordert einen Prozess, dessen Schrittfolge das Schreibkarussell auch für die Kinder transparent macht. Besonders die differenzierte Textplanung stellt für Kinder, die Deutsch als Zweitsprache lernen, eine große Hilfe dar.

Wenn hier differenzierte Angebote zur Vorstrukturierung eigener Ideen und Gedanken zur Verfügung stehen, lassen sich bereits Textfragmente auf der Wort- und Satzebene erstellen. Eine mündliche Erprobung der eigenen Textidee vor einem oder mehreren Zuhörern ist immer hilfreich und sensibilisiert für die Adressatenperspektive.

Angebote zur Umschreibung bzw. Erklärung schwieriger Begriffe erweitern die Fähigkeiten der Kinder zu einem differenzierten und treffsicheren Sprachgebrauch.

Die angebotenen Satzmuster bzw. Redemittel dienen nicht nur als einmalige Schreibhilfe, sondern können auf weitere sprachliche Anwendungssituationen übertragen werden (s. Beispiel: mulingula-praxis.de/fileadmin/user_upload/froschgeschichte/downloads/frosch-textproduktion.pdf)